Atheistenprotest

1888

Atheistenprotest

Ich klage nicht, daß mir die Götter fehlen,
Die demuthsvoll verirrter Sinn umfaßt,
Und schrein zum Herrn noch Millionen Seelen,
Ich bin allein mit meiner Lust und Last.

Der Sklavenkleinheit hab’ ich mich entledigt,
Ich flehe nicht um Gnade und um Huld,
Der Gott, den Jhr in Euren Kirchen predigt,
Ist an dem allgemeinen Wahnsinn schuld.

Wer Sold und Sühne sucht in Aetherfernen,
Jst ein armsel’ger, gar bethörter Narr,
So lang die Kinder noch den Glauben lernen,
Bleibt chronisch unser geistiger Katarrh.

In dumpfer Trägheit, faulem Unterjochen
Schleppt Ihr wie Esel Euer elend Loos,
Fühlt Ihr denn nie das Blut im Leibe kochen?
O wartet, wartet nur auf Gottes Schooß!

Wenn Euer Jammerleib zu Staub zerfallen,
Dann sucht nur brünstig nach dem süßen Herrn,
Dann streift sie ab, die weiten Weltenhallen,
Und wandert ruhelos von Stern zu Stern!

Was Ihr begehrt, das wird Euch niemals werden,
Kein Himmel ist und keine Hölle da.
Des Menschen Reich ist nur von dieser Erden,
Hier ist sein Wehe! sein Halleluja!

Und wirft das Unglück mich zu Boden nieder,
Und schwellt die kurze Freude meinen Sinn —
Von Gott frei sing’ ich meine Klagelieder,
Von Gott frei hauch’ ich meine Wonne hin.

1890

Atheistenprotest

Ich klage nicht, daß mir die Götter fehlen,
Die demuthsvoll verirrter Sinn umfaßt,
Und schrein zum Herrn noch Millionen Seelen,
Ich bin allein mit meiner Lust und Last.

Der Sklavenkleinheit hab’ ich mich entledigt,
Ich flehe nicht um Gnade, nicht um Huld,
Der Gott, den Ihr in Euren Kirchen predigt,
Ist an dem allgemeinen Wahnsinn schuld.

Wer Sold und Sühne sucht in Aetherfernen,
Ist ein armsel’ger, gar bethörter Narr,
So lang die Kinder noch den Glauben lernen,
Bleibt chronisch unser geistiger Katarrh.

In dumpfer Trägheit, faulem Unterjochen
Schleppt Ihr wie Esel Euer elend Loos,
Fühlt Ihr denn nie das Blut im Leibe kochen?
O wartet, wartet nur auf Gottes Schooß!

Wenn Euer Jammerleib zu Staub zerfallen,
Dann sucht nur brünstig nach dem süßen Herrn,
Dann streift sie ab, die weiten Weltenhallen,
Und wandert ruhelos von Stern zu Stern!

Was Ihr begehrt, das wird Euch niemals werden,
Kein Himmel ist und keine Hölle da.
Des Menschen Reich ist nur von dieser Erden,
Hier ist sein Wehe! sein Halleluja!

Und wirft das Unglück mich zu Boden nieder,
Und schwellt die kurze Freude meinen Sinn —
Von Gott frei sing’ ich meine Klagelieder,
Von Gott frei hauch’ ich meine Wonne hin.

Amselrufe. Neue Strophen, Zürich 1888, S. 19-20. Online
Amselrufe, Zürich 1890, S. 19-20. Online