1911
Bekenntnis
Mein Auge leuchtet durch die Zeiten
Den Denkern, die das All gebar,
Ununterbrochen seh ich schreiten
Den Zug der kühnen Heldenschar.
Die Losung hör‘ ich vorwärts klingen
Vom Fähnlein, das dem Blick entflieht,
Auf tausenjähr’gen Aetherschwingen
Zum Banner, das vorüberzieht.
Die Siegesmelodien rauschen,
Hoch jauchzt der Marsch der Weltidee,
Den Lichtposaunen muß ich lauschen,
Bis ich des Spieles Sinn versteh.
Aus seiner engen Talschlucht starrte
Das Menschentier zum Firmament,
Die Wölbung war die höchste Warte,
Drauf Gottes Tag- und Nachtlicht brennt.
Jetzt rollt der Mensch mit seinem Geiste
Auf ew’ger Achse durch das All;
Wie bald erfuhr der Weltgereiste:
Dem Wissen wehrt kein Festungswall.
Aus Urdunst schwang zu Dichterstirnen
Des Lebens Bildkraft ihre Glut,
Stolz türmen der Entwicklung Firnen,
Sich in des Kosmos Sonnenflut.
Des Universums glüh’nde Kräfte
Faßt die Natur, die forscht und spürt,
Der Erde Schoß trinkt Weltallsäfte
Bis sich der Menschheit Glück gebiert.
Das Schöne schaffend zu genießen
Bereitet unser Hirn sich vor,
Aus der bezwung’nen Erde sprießen
Der Freiheit Blütenau’n empor.
Was selt’ner Sehersinn ersonnen,
Die ganze Menschheit prägt’s in Tat,
Und wallend Festkleid wird gesponnen,
Auf der Entwicklung Riesenrad.
Das Niedre welkt. Voll blüht zum Schönen,
Was häßlich und gemein noch ringt,
Den Chor der Massen hör‘ ich tönen
Von Psalmen, die die Zukunft singt.
1921
Bekenntnis
„Ich möchte lieber hochmütig als niederträchtig sein, und ich erinnere mich des Ausspruches von Kant: Der Mensch kann nicht groß genug vom Menschen denken.“
Karl Ernst von Bär
Mein Auge leuchtet durch die Zeiten
Den Denkern, die das All gebar,
Zu hohen Zielen seh ich schreiten
Den Zug der Geistesheldenschar.
Die Losung hör‘ ich vorwärts klingen
Vom Fähnlein, das dem Blick entflieht,
Auf ätherzarten Sonnenschwingen
Zum Banner, das vorüberzieht.
Die heiligen Melodieen rauschen,
Ein Hochzeitsmarsch der Weltidee,
Den Lichtposaunen muß ich lauschen,
Bis ich des Spieles Sinn versteh.
Wer ahnt, wie sich der Mensch enthoben
Dem Mutterschoß der Gottnatur?
Wir sind aus Urweltglut gewoben
Und sausen auf der Sonne Spur.
Aus Dumpfheit schwang zu Dichterstirnen
Empor sich schöpferische Glut,
Kühn ragen der Gedanken Firnen,
Getürmt wie von Titanenmut.
Den Schacht der Wahrheit zu erschließen,
Ward edler Forscher Lust und Pflicht,
Aus der Erkenntnis Gründen sprießen
Der Freiheit Segnungen zum Licht.
Was tiefer Sehersinn ersonnen,
Die Nachwelt ruft den Traum zur Tat,
Und was der Genius gewonnen,
Weit wird es ausgestreut als Saat.
Das Niedre welkt. Voll blüht zum Schönen,
Was häßlich und gemein noch ringt,
Den Dom der Zukunft hör‘ ich tönen
Von Psalmen, die die Menschheit singt.
Die Vorkämpferin, 6. Jahrg., 1. Mai 1911, Nr. 5, S. 1-2. Online
Gesammelte Werke. Zweiter Band: Buch des Kampfes, München 1921, S. 75-77.