1890
Brodlos
Ein armes Mädchen bin ich nur,
Hab‘ Niemand auf der weiten Welt,
Der nach mir fragt und der mich liebt,
Der meines Lebens Nacht erhellt.
In Blüthen schwimmt das reiche Thal,
Der Frühling fuhr zum Lande ein —
Was soll denn mir der gold’ne Strahl?
Mir lacht kein Glück, kein Sonnenschein.
Einst glaubt‘ ich an des Himmels Huld,
Der Glaube ist nun lange todt,
Die Blüthe meiner Hoffnung frass
Der schwarze Wurm der Hungersnoth.
An so viel Thüren klopft‘ ich an,
Vergebens all‘ mein innig Fleh’n
Um Arbeit für mein täglich Brot,
Und Jeder lässt mich weitergeh’n.
Kein Einziger mir mag vertrau’n,
Kein Einziger mich mag versteh’n —
Und will ja doch con früh bis spät
Auf Arbeit, nichts wie Arbeit seh’n!
Ich bin geschickt, ich bin gescheidt,
Und ehrlich war von je mein Sinn,
Du lieber Gott, hab‘ ich denn Schuld,
Dass ich so bleich und schwächlich bin?
Noch tausend leiden gleiche Noth,
Die Welt ist für ihr Elend blind.
Und Niemand ahnt, wie tief der Groll
In ihrem Herzen weiterspinnt.
Und Niemand sieht, wie’s dunkler wird,
Bis dass einmal der Donner kracht,
Und euch das Feuer jäh verzehrt,
Euch, die ihr’s selber angefacht.
1902
Brodlos
(Komponiert von Adolf Wallnöfer.)
Ein armes Mägdlein bin ich nur,
Hab‘ Niemand auf der weiten Welt,
Der nach mir fragt und der mich liebt,
Der meines Lebens Nacht erhellt.
In Blüthen schwimmt das reiche Thal,
Der Frühling fuhr zum Lande ein —
Was soll denn mir der gold’ne Strahl?
Mir lacht kein Glück, kein Sonnenschein.
Einst glaubt‘ ich an des Himmels Huld,
Der Glaube ist nun lange todt,
Die Blüthe meiner Hoffnung frass
Der schwarze Wurm der Hungersnoth.
An so viel Thüren klopft‘ ich an,
Vergebens all‘ mein innig Fleh’n
Um Arbeit für mein täglich Brod,
Und Jeder lässt mich weitergeh’n.
Ich bin geschickt, ich bin gescheidt,
Und ehrlich war von je mein Sinn,
Du lieber Gott, hab‘ ich denn Schuld,
Dass ich so bleich und schwächlich bin?
Noch tausend leiden gleiche Noth,
Die Welt ist für ihr Elend blind.
Und Niemand ahnt, wie tief der Groll
In ihrem Herzen weiterspinnt.
Und Niemand sieht, wie’s dunkler wird,
Bis dass einmal der Donner kracht,
Und euch das Feuer jäh verzehrt,
Euch, die ihr’s selber angefacht.
Diorama, Zürich 1890, S. 149-150. Online
Aus meinen Gedichten, Zürich, Leipzig, Berlin 1902, S. 8. Online