1898
Der todte Dichter
(Zum Gedächtnis Leopold Jacobys.)
Er lag im off’nen Sarge,
Und die verstummte Lippe sprach:
“Mein Leben lieh, das karge,
Mir Leid zum Lohn; feind war ich aller Schmach.
Ich gab nicht preis mein Lied und Wort,
Die Zunge wäre mir verdorrt,
Der Freiheit blieb ich treugesinnt,
Mir träumt, ich war ihr liebstes Kind.”
Sprach die verstummte Lippe
Aus off’nem Sarg hervor –
Ueber den Friedhof der Frostwind fuhr,
Sein dunkles Grablied sang der Chor.
Die ersten Schollen deckten
Des todten Dichters schmales Haus;
Mir war drei Flammen reckten
Sich ätherzüngelnd aus der Gruft heraus.
Die rote sprühte Wahrheitsmut,
Schönheit blüht auf in blauer Glut,
in großer, weißer Flamme stieg
Der Glaube an des Edlen Sieg. –
Die ersten Schollen deckten
Des todten Dichters schmales Haus…
Mir war, drei Flammen leckten
Und reckten züngelnd sich zur Gruft heraus.
Die rothe sprühte Freiheitsmut,
Schönheit blüht’ auf in blauer Glut,
In großer, weißer Flamme stieg
Der Glaube an der Menschheit Sieg.
Die ersten Schollen deckten
Des todten Dichters Haus…
Zwei treue Augen sah ich glänzen,
Die Flammen küßten sich und loschen aus.
1921
Leopold Jacoby*
zum Gedächtnis
Er lag im offenen Sarge,
Und die verstummte Lippe sprach:
“Mein Leben lieh, das karge,
Mir Leid zum Lohn; feind war ich aller Schmach.
Ich gab nicht preis mein Lied und Wort,
Die Zunge wäre mir verdorrt,
Der Freiheit blieb ich treugesinnt,
Mir träumt, ich war ihr liebstes Kind.”
Sprach die verstummte Lippe
Aus offenem Sarg hervor –
Über den Friedhof der Frostwind fuhr,
Sein dunkles Grablied sang der Chor.
Die ersten Schollen deckten
Des toten Dichters schmales Haus;
Mir war drei Flammen reckten
Sich ätherzüngelnd aus der Gruft heraus.
Die rote sprühte Wahrheitsmut,
Schönheit blüht auf in blauer Glut,
In großer, weißer Flamme stieg
Der Glaube an des Edlen Sieg. –
Die ersten Schollen deckten
Des toten Dichters schmales Haus…
Zwei treue Augen sah ich glänzen,
Die Flammen küßten sich und loschen aus.
* Geb. 29. April 1840 zu Lauenburg in Pommern. † 20. Dez. 1895 im Krankenasyl in Zürich. Begraben auf dem Friedhof Rehalp dort.
Die dichterischen Hauptwerke dieses viel zu wenig gewürdigten Vorkämpfers und Märtyrers des deutschen Sozialismus sind das epische Gedicht “Çunita”, das vom Sozialistengesetz verbotene Buch “Es werde Licht!” und die “Deutschen Lieder aus Italien”.
Anzeiger (Beilage der Sonnenblumen), 2. Jahrg., 1896/97, Nr. 14.
Gedichte, Zürich 1898, S. 475-476. Online.
Gesammelte Werke. Vierter Band: Buch der Kunst, München 1921, S. 64-65.