Der Weiher
Wer wissen will, wo meine Seele wohnt,
Muss sie an weltverborgener Stätte suchen…
In alten Gärten, wo der stille Mond
Verstohlen küsst die dunkelroten Buchen;
Wo sich ein Netz von lichten Fäden spinnt
Auf Wege, die zu wundertiefen Weihern
Sie leise führen wie ein Königskind,
Das traumverloren wallt in Duft und Schleiern.
Es ist der Ort versunkenen Gesichts,
Da aus dem Nachttau vor erschlossnen Sinnen
Im Spiele des geheimnisvollen Lichts
Die innern Quellen sacht zusammenrinnen.
Was mich verstört im grellen Blick der Not,
Was mich verwirrt im schrillen Schrei der Tage,
Was mich mit Krallen wilden Zorns bedroht,
Und was mich quält mit plumper Menschenplage;
Was meinem Herzen wund und weh getan,
Was mich zerdrücken will mit rohen Händen –
Wo lautlos Furchen zieht der schwarze Schwan,
Da löst es sich an silbernen Geländen.
Die Wasser zittern, zart vom Mond berührt,
Mit schweigenden Schatten neigen sich die Weiden…
An das Weib gerichtet:
Hab’ ich nicht deines Atems Hauch verspürt?
Du willst mit mir von Tag und Trubel scheiden.
Nur eine Gottheit hier, die einsam thront!
Lass uns den Kranz von Feuerlilien winden!
Wer wissen will, wo unsere Seele wohnt,
Wird sie am Weiher liebender Andacht finden.
Schwingungen. Neue Gedichte, 1906. S. 10.