Die Tanne

Die Tanne

Drüben thront die grosse Ranne
Immer grün und immer grade
Mit der Aeste breitem Banne
Fürstlich über Busch und Baum.

Sucht das Auge seine Pfade,
Steigt es aus des Gartens Fülle,
Dass im Abendroth es bade.
An dem stolzen Stamm empor.

“Hebe mit mir, von der Hülle
Duftender Kastanienblüthen” —
Spricht sie — “in der Aetherstille
Meerestiefen deinen Blick!

Schlechte Dünste sah ich brüten,
Die den Athem mir umkrallten,
Wetterstürme mich umwüthen,
Toben schütternd Ungemach —

Wilde Blitze wollten spalten
Diesen Wuchs mit brandiger Lohe —
Meine Krone zu behalten
Ward vergönnt vom Welten-Gott.

Und so heb’ ich meine hohe
Stirne stetig und gelassen.
Unbekümmert, was auch drohe,
ln das himmlische Gefild…

Willstt du mit mir Wurzel fassen
In des Lebens ewigem Grunde,
Sei mir gleich — Doch zu mir passen
Nur die stark und einsam sind.”

Aus meinen Gedichten, Zürich, Leipzig, Berlin 1902, S. 75-76. Online