Epistel

Epistel

Herr Redakteur, Sie bitten um Novellen?
In diesem Fache leiste ich noch Nichts.
Das Publikum mit Schülerschund zu prellen,
Ist Sache jedes Literatenwichts.
Die Studien, die ich novellistisch treibe,
Gehören einzig in’s verschwieg’ne Pult,
Doch was ich hier und da an Versen schreibe,
Empfehl‘ ich ganz ergebenst Ihrer Huld.
Viel schlauer ja, in Prosa breitzutreten,
Was Reim und Rhythmus straff zusammenpreßt,
Wer wacker Spalten füllt, der macht Moneten,
Mit denen sich’s behaglich leben läßt.
Doch der Poet, der in gemess’nen Zeilen
Dem Publikum sein Innerstes enthüllt,
Mag heute noch mit Zeus den Himmel theilen,
Indeß vor Hunger seine Börse brüllt.
Ist hier der Ort, darob zu lamentiren?
Was schiert den Leser eines Dichters Noth?
Ein deutscher Dichter muß zuerst krepiren,
Dann sammelt man für seine Waisen Brot.
Geschieht ihm recht! Er ist noch stets der Töffel,
Der seine Waare absetzt unter Preis,
Das Kapital barbiert ihn über’n Löffel,
Weil er sich einfach nicht zu helfen weiß.
Ich bitte Euch, Ihr guten Kameraden,
Die Ihr den Werth der eignen Arbeit schätzt,
Nur fordern! Trotzt das Unrecht, kann’s nicht schaden,
Wenn einen Strike Ihr stramm in Scene setzt.
Mag dann vom Abhub seichter Stümpereien
Sich mästen ein germanisches Journal!
Der Reimer, die nach Druckerschwärze schreien,
Giebt’s infusoriengleiche Ueberzahl…
Verehrteste — wovon soll ich Euch melden?
Von dem, was Euch vom Alltagswust befreit?
Ach Gott, nähm‘ einen Lieutenant ich zum Helden,
Ihr schenktet gleich mir die Unsterblichkeit.
Soll ich vielleicht in farbenvollen Bildern,
Ein zweiter Ludwig Pietsch der Poesie,
Ihr Gnäd’gen, Eure Toiletten schildern?
Ihr schätztet, prieset, rühmtet mich wie nie.
Soll ich in windelweich gerührten Weisen
Euch loben, daß Ihr gute Christen seid?
Soll Eure Kirchengängerschaft ich preisen
Und Eure Ferienbarmherzigkeit?
Soll vom Ballet, vom Rennsport ich erzählen,
Mehr werth als aller ideale Quark,
Soll ich vielleicht zum Helden gar erwählen
Den Grafen Henckel mir von Donnersmark?
Wünscht Ihr, daß sich effektvoll und exotisch
Ein afrikanisch Wandelbild enthüllt,
Begehrt Ihr, daß schwarzweiß hochpatriotisch
Ein Kaiserhymnus meinem Mund entquillt?
Nichts da! Ihr kennt den eitelen Gesellen,
Den Egoisten, den Poeten nicht,
Er schiert sich viel um Eure Bagatellen,
Steckt selber stets in jeglichem Gedicht.
Mit seinen souveränen Launen, Trieben
Treibt er vor Euch sein arrogantes Spiel,
Und hat er ein melodisch Lied geschrieben,
Er zittert nicht, wie’s Hinz und Kunz gefiel.
Meint Ihr, ich sollte Euch mich anbequemen?
Meint Ihr, ich sollte Euch zu Willen sein?
Weit besser wär’s, Arsenik doch zu nehmen,
Als um das Neutrum Publikum zu frein.
Ich bitte Euch, so thut nur nicht beleidigt!
Die lange Schmeichelei hat Euch verwöhnt.
Wenn der Poet nicht mehr sein Selbst vertheidigt,
Als Allerweltsnarr wird er noch verhöhnt.
Genug davon! Der Standpunkt ist gewonnen,
Ihr mögt nun kritisiern, wie Ihr wollt,
Mich frei zu geben, war ich stets gesonnen,
Ob Ihr nun Beifall lächelt oder grollt.

Amselrufe. Neue Strophen, Zürich 1888. S. 35-37. Online
Amselrufe, Zürich 1890, S. 33-35. Online