Friedrich Nietzsche

1894

Friedrich Nietzsche

Nietzsche, du Dichter unter den Weisen,
Großer Einsamer unter den Winzigen.
Wortgewaltiger unter den Schwätzern!
Deine Lehre vom Mitleid klag’ ich.
Mitleid kann die Tugend der Schwachen,
Leidenschaft kann sie der Starken sein.
Das heroische Mitleid rühm’ ich,
Seine Thaten und seine Lieder,
Deine Lehre sät Irrtums Saat.
O du Tanzender unter den Denkern,
Denkerkünstler unter den Plattfüßern
Philosophasternder Mammutei!
Der du leuchtende Lyriktafeln
Mit erhabenen Rhythmen beschrieben,
Wortblitzschwingender, lachender Fürst!
Schlug der fittichdüstere Wahnsinn
Schauerlich schattend über dein Haupt?
Armer König, du birgst an der Mutter
Treuer Brust dein zerschmettertes Haupt?
Wandle träumend in Überwelten
Löse Dich leidlos spielend ins All!
Siehe, ich sah einen kranken Löwen,
Der an den speerscharfen Stangen des Kerkers
Brüllend zerrissen sein mächtiges Haupt…
Röchelnd lag er im Dämmer des Wahns…
Ueber-Löwen umwandelten ihn.
Aber die Unter-Läuse der Schreiber
Wimmelten juckend in seinem goldnen
Majestätisch mähnigen Fell……

1921

Friedrich Nietzsche

Nietzsche, du Dichter unter den Weisen,
Großer Einsamer unter den Winzigen.
Wortgewaltiger unter den Schwätzern!
Deine Lehre vom Mitleid klag ich.
Mitleid kann die Tugend der Schwachen,
Leidenschaft kann sie der Starken sein.
Das heroische Mitleid rühm ich,
Seine Taten und seine Lieder,
Deine Lehre sät Irrtums Saat.
O du Tanzender unter den Denkern,
Denkerkünstler unter den Plattfüßern
Philosophasternder Mammutei!
Der du leuchtende Lyriktafeln
Mit erhabenen Rhythmen beschrieben,
Wortblitzschwingender, lachender Fürst!
Schlug der fittichdüstere Wahnsinn
Schauerlich schattend über dein Haupt?
Armer König, du birgst an der Mutter
Treuer Brust dein zerschmettertes Haupt?
Wandle träumend in Überwelten
Löse Dich leidlos spielend ins All!
Siehe, ich sah einen kranken Löwen,
Der an den speerscharfen Stangen des Kerkers
Brüllend zerrissen sein mächtiges Haupt…
Röchelnd lag er im Dämmer des Wahns,
Ueber-Löwen umwandelten ihn.
Aber die Unter-Läuse der Schreiber
Wimmelten juckend in seinem goldnen
Majestätisch mähnigen Fell……

Zwischenspiel, Zürich 1894, S. 99-100. Online.
Gesammelte Werke. Vierter Band: Buch der Kunst, München 1921, S. 62-63.

Anlass für das Gedicht dürfte der 50. Geburtstag von Friedrich Nietzsche gewesen sein.