Historia
Fratribus salutem.
Nach Berlin von Magdeburg gezogen
Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt,
Zween Poeten hofft er sich gewogen,
Deren Schriften er vorzüglich fand.
Atheist war er,
Revolutionär,
Glaubte als Messias sich gesandt.
Und er stürzt in’s Zimmer der Poeten,
Die gethan manch kecken Waffengang:
“Schriftenthumsreform ist anch von Nöthen,
Christenthumsreform ist größ’rer Zwang;
Saget, saget doch:
Glaubt an Gott ihr noch?
Denn der meine ging schon lange mang.*)”
Heinrich strich sein blondes Schnäuzchen wüthig:
“Bitte , bitte , nehmen Sie doch Platz!
Julius , bist du vielleicht so gütig?
Ich bin eben an dem letzten Satz.”
Julius räuspert sich:
“(Gott bewahre mich!)
Junger Freund – Frau Neckert, einen Schmatz!”
Wittwe Neckert war Chambregarnistin,
Eine Wirthin war sie oomme il faut,
Und sie war auch eine gute Christin,
Selbst ihr Rindfleisch war nicht ganz von Stroh.
Saget, saget doch,
Glaubt an Gott ihr noch?”
Wieder frug der grause Fremdling so.
Und der Schweiß perlt von der Brüder Stirne,
Aber Julius lispelt, wispert, spricht:
“Gott malt anders sich in jedem Hirne,
Genius, Fatzke, Sonne, Dreierlicht;
Ihre Frage, Freund,
Ist wohl gutgemeint —
Eine Antwort, Theurer, weiß ich nicht.”
*) Niederdeutsch = unter.
Amselrufe. Neue Strophen, Zürich 1888. S. 42-43. Online