Kunst-Proletarier

Kunst-Proletarier

Ob ich ein Dichter hin, ich weiß es nicht,
Kein Schwärmerrausch umnebelt meine Seele.
Was mich bewegt, quillt zitternd aus der Kehle,
Was mich durchläutert, läutert mein Gedicht.

Mir ist die Melodie der Leidenschaft,
Der Rhythmus ringender Natur verbunden,
In Lieder tauch’ ich Wonnen gern und Wunden,
In Bilder hauch’ ich warme Lebenskraft.

Der mich “Poet von Volkes Gnaden” heißt,
Was meinst du, Freund, mit dieses “Volkes Gnaden”?
Gewandelt bin ich auf der Dichtung Pfaden,
Als noch in Windeln lag mein Werdegeift.

Dem Unrecht hab’ ich schon ins Ohr geklirrt,
Alls mir dies “Volk” noch eine fremde Masse,
Drum hat mein Lied, mein eig’nes Lied, auch Rasse,
Drum spritzt mein Blut, wenn roh die Knute schwirrt.

Weil mein Gefühl sich blutend aufgebäumt,
Wo die Gewalt der Lüge gräßlich wüthet,
Weil ich das Feuer der Vernunft gehütet,
Wo Selbstsucht feig und schläfrig fortgeträumt:

Weil mich der Wahrheit Lust und Lieblichkeit
Gelockt, mit ihr durch Dick und Dünn zu brechen,
Zu kränzen sie, die Schwert und Dornen stechen,
Weil freie Menschheit nur mich selbst befreit:

Drum schritt ich lächelnd aus dem Todegsaal,
Wo sich die Geister der Vergang’nen morden.
Und Proletarier aus eig’ner Wahl
Bin ich im Reich der deutschen Kunst geworden.

Trutznachtigall, Stuttgart 1891, S. 86-87. Online