Maimarkt

1890

Maimarkt

Heut ist Jahrmarkt. Von den Buden
Weh’n knallrote Taschentücher,
Abgefeimte Schacherjuden
Recken ihre krummen Riecher
Geiermäßig mit Geschrei
In den lindengrünen Mai.
Emmenthaler Käseriesen,
Frischer Stiefel Lederduft…
Staub beweißt die jungen Wiesen,
Krämerdunst verdickt die Luft.
Wachstuch in den grellsten Farben:
„Einen Franken für den Rest!“
Blumenhüte, Rüschen, Barben –
Bärbel, denk‘ auf’s Pfingstenfest!
Rudolf, Baroness‘ Vetsera,
Farbenblutdruckkatastrophen…
Firuli und Firulera
Spielt die Orgel. Spitze Zofen
Mit den Kleinen vornehm eilen,
Schrupperfeen gierig weilen.
Ein Student zieht durch’s Getriebe
Mit der schwesterlichen Liebe.
Die hat immer was nach hinten,
Maiprinz Amor lädt die Flinten.
Klärchen liegt schon auf der Strecke:
„Stundenlang geht er mir nach
Eben schwankt er an der Ecke…
Nur Geduld ein wenig, ach!
Wenn mein Bruder doch mal ginge,
Lose regt‘ ich meine Schwinge.
Alfred soll der Teufel holen.
Kaum ein Küßchen ganz verstohlen
Kann man auf den Daumen drücken
Und dabei seitrückwärts blicken.
Alfred, thu‘ mir den Gefallen,
Bring‘ mir gleich von Cäsar Schmidt
„Einer Jungfrau Erdenwallen“
Von Elise Polko mit! -“
„Gern. Adieu!“ – „Adieu … juchhei,
Selbst ein Bruder stört dabei.
Jetzt – er sieht, ich bin alleine,
Und beflühelt seine Beine.
Jetzt ganz dicht schon hinter mir,
Will ein wenig stehen bleiben –
Neuste Nadelfädler hier,
Fäden durch das Oehr zu treiben!“
Aus des Busens Knopfsaum wedelt
Rothverführerisch ein Zipfel,
Da wird auch was eingefädelt,
Angebändelt, liebgemädelt…
Wollust weht der Lindenwipfel.

1921

Maimarkt

Heut ist Jahrmarkt. Von den Buden
Wehn knallrote Taschentücher,
Abgefeimte Schacherjuden
Recken ihre krummen Riecher
Geiermäßig mit Geschrei
In den lindengrünen Mai.
Emmenthaler Käseriesen,
Frischer Stiefel Lederduft…
Staub beweißt die jungen Wiesen,
Krämerdunst verdickt die Luft.
Wachstuch in den grellsten Farben:
„Einen Franken für den Rest!“
Blumenhüte, Rüschen, Barben –
Bärbel, denk aufs Pfingstenfest!
Rudolf, Baroneß Vetsera,
Farbenblutdruckkatastrophen…
Firuli und Firulera
Spielt die Orgel. Spitze Zofen
Mit den Kleinen fürnehm eilen,
Schrupperfeen gierig weilen.
Ein Student zieht durchs Getriebe
Mit der schwesterlichen Liebe.
Die hat immer was nach hinten,
Maiprinz Amor lädt die Flinten.
Aus des Busens Knopfsaum wedelt
Rotverführerisch ein Zipfel,
Da wird auch was eingefädelt,
Angebändelt, liebgemädelt…
Wollust weht der Lindenwipfel.

Diorama, Zürich 1890, S. 71-72. Online
Gesammelte Werke. Erster Band: Buch des Lebens, München 1921, S. 32-33.