Morgenstern

Morgenstern

Ich wache anf: der Morgenstern erglüht,
Mein lieber Brunnen plätschert fernverstohlen.
Die Himmelsblume leuchtet mir und blüht,
Die Sehnsucht schwebt um mich auf sanften Sohlen.
Ein Schmetterling der Aethernacht,
Kreist still mein Geist dem Sternenkelche zu,
Er saugt hinan sich zärtlich sacht
Und trinkt der kühlen Ewigkeiten Ruh‘.

Den Himmel überläuft ein zartes Blau,
Die Nacht vermählt sich mit dem jungen Tage,
Auf ihrem Brautbett, jener hellen Au,
Verhaucht die süße Todeshochzeitsklage.
Vom Lager steigt der Siegesheld,
Im Lichtgewand der Bräutigam empor,
Der Morgenschauer netzt die Welt,
Und leise lallt der Menschenkinder Chor.

Diorama, Zürich 1890, S. 262-263. Online