Notizblatt

1888

Notizblatt

Idyllisches

Im Lied wohnt heilige Vertraulichkeit —
Weh‘ dem, der’s tempelschändend je entweiht!

Jetzt hab‘ ich’s satt. Wohl war ich auch dabei,
Doch aus dem Halse hängt mir das Geschrei.
Nicht daß der Seele frische Gluth verbrannt,
Nein, nein, der Zukunft weih‘ ich Herz und Hand.
Indeß genirt sich meiner Seele Fülle
Vor dem genossenschaftlichen Gebrülle,
Der ganze Lärm und Größenwahnskandal
Ist mir egal.

Nur das Bedeutende nahm ich auf’s Korn,
Doch das Gemeine drängte sich nach vorn.
Die Geistesunzucht, die Euch Sippe schafft,
Ward — um Verzeihung — schließlich ekelhaft.
Buhlt, werthe Freunde, mit dem Chaos weiter,
Des Pegasusses lahme Prosareiter,
Ich setze fürder über Stock und Stein
Im Lied allein.

Dem jüngsten Deutschland wünsch‘ ich Gunst und Glück,
Ich zieh‘ auf Außen-Posten mich zurück.
Die Bande macht’s nicht. Hast du Herz und Mark,
Geh‘ du nur vorwärts! Einsam wirst du stark.
Kein And’rer giebt, was dir nicht selbst zu eigen —
Drum zieh‘ ich’s vor, ein Solo mir zu geigen,
Und spiele auf mit Schmeicheln und Gebrumm
Dem Publikum.

Heut‘ preis‘ ich nicht in myst’schem Rausch das Licht,
Weh‘ dem, den draußen jetzt die Sonne sticht!
Die Jalousieen wehren jedem Strahl,
Kein Gluthenkuß preßt auf des Schweißes Qual.
In leidlich kühler Tagesdämmerung weile
Auf meiner Bude ich zu meinem Heile
Und warte, bis der flammende Koloß
Sein Auge schloß.

Nein, diese Leberblümchen sind doch flott,
Die sie mir malte; wie vom lieben Gott
Im Wald gemach ; enorm naturwahr , ja,
Das kann sie, Signorina Erika.
Sie malt, ich dichte — alle Kunst soll leben
Und meine Freundin tausendmal daneben
Und hoch die Freiheit und die trotz’ge Kraft
Der Leidenschaft!

„Heillos! Von Blümchen redet dieser Fant,
Von Märzenveilchen, die ein Kind gesandt.
O dieser Schwächling, dieser Tandpoet,
Der auf den ausgetret’nen Pfaden geht!
Ein Liebchen, eine Freundin, scheußlich sauber,
Der ganze alte überwund’ne Zauber,
Ein Dilettant, beim superfeinsten Mist!
Kein Realist.“

„Schrieb Liebeslieder, simpel , höchst naiv,
Don Carlos, wir verachten nun Dich tief.
Uns bohrt der Riescnschmerz der Kreatur
Ins Denkerhirn die schauerliche Spur.
Unheimlich schildern wir den Spuk des Lebens,
Den Katzenjammer idealen Strebens,
Und eine Welt umfaßt der Schöpfergeist,
Der in uns kreist .“

„Modern, modern, modern, modern, modern!
Die Prosaepik ist des Pudels Kern.
Milchsuppe Lyrik, und Erotik gar,
Zola il Zola, was Du sprichst, ist wahr:
Wahnsinn, Delirium, klägliche Verrücktheit
Und andres Nichts ist lyrische Verzücktheit,
Der Romancier allein ist Dichter kraft
Der Wissenschaft .“

Ihr guten Leute, die Ihr Ohr mir leiht,
Daß solch Gewäsch ich kundgethan, verzeiht!
Da streiten sich mit Theorie und Dunst
Die edlen Geister um den Zweck der Kunst.
Schlagworte hagelt’s, dick wie Straußeneier,
Und ist doch immer nur die alte Leier,
Ein wenig neues Essigsurrogat
Zum Ursalat.

Ihr habt die Theoriendiarrhoe
Und kötzt Euch kritisch; adieu, adieu!
Ich trau‘ hinfüro nur dem eig’nen Sinn
Und dichte, was ich lebe, web‘ und bin.
Mein Aug‘ ist offen, Hirnschmalz wird nicht mangeln,
Mit meinem Herzen werd‘ ich Fischlein angeln
Im Strom der Stimmung, grau und silberweiß,
Der Laune Preis.

* * *

Du schreibst von München, lieber Freund Eugen:
„Die Kellnerinnen hier sind voll und schön,
Erquickend, fern von jeder Prüderie
Wie von Frivolität, indeß noch nie —
Darin bin ich geblieben ganz beim Alten —
Hab‘ ich von Einer einen Kuß erhalten,
Weil ja zur Einzigen, o Karl , du weißt,
Die Glut mich reißt.“

Weihnachten war’s, das überletzte Mal,
Du holtest früh mich ab zur Gabenwahl.
Wir kauften Lichter, Schäfchen, Silber, Gold
Für die, der deine junge Seele hold.
Und dann das Bäumchen, ein Bouquet zum Schlusse,
Für Sie speziell zum Huldigungsgenusse,
Das Weihnachtsbäumchen selber galt zum Schein
Dem Brüderlein.

Auf meinem Stübchen putzten wir das Ding,
Bis es voll Tand und Honigkuchen hing.
Zur Probe brannten wir die Lichter an —
O du warst selig, Eugen Kühnemann!
Dein Antlitz leuchtete von schönem Feuer,
Dann wieder schien es dir nicht ganz geheuer,
Du bebtest bang — den Tag voll Poesie
Vergess‘ ich nie.

Der Abend kam. Du mochtest nicht allein,
Auch heute sollt‘ ich dein Begleiter sein.
Behutsam, daß der Christbaum Nichts verlor,
Trugst du ihn in des Nachbarhauses Thor.
Wir wollten zünden, doch die Lichter wehte
Der Wind aus, höher wuchsen deine Nöthe,
Fast in die Hose sank dir da — o Schmerz ! —
Dein Dichterherz.

Doch deine Segel schwoll ein letzter Muth:
„Wenn ‚Sie‘ nicht öffnet, geht noch Alles gut.“
Und du verschwandest in der hcil’gen Thür;
Ich wünschte Platon’s Kraft und Weihe dir.
Ich schritt hinauf die breite Königsstraße,
Die Kerzen brannten zum Bescheerungsspaße,
Der Reichthum tändelte mit seiner Pracht
In Jesu Nacht.

Dann plötzlich nahtest du mit schnellem Trab:
„Ich klingelte, das Mädchen nahm ihn ab.
Sie muß es merken, daß der Strauß für Sie,
Was Sie wohl sagen wird ? — Ave Marie!“
Nach Hause ging’s — wir drückten uns die Hände,
Daheim zu finden unsrer Lieben Spende,
Mein Schwesterchen ertrug’s vor Neugier kaum:
„Wo blieb der Baum?“ …

* * *

Der Bogen klang. Der Pfeil saß in der Brust.
Geflohen wär‘ ich, hätt‘ ich das gewußt.
Dem Tand der Minne galt mein schärfster Spott,
Exorcisirt hatt‘ ich den kleinen Gott,
Verlacht die Dichter, die dem Knäblein fröhnen
In weichen Weisen und in zarten Tönen,
Weil Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit
Panier der Zeit.

Indeß der Gorgo ich ins Antlitz sah,
Kam hinterrücks der Flügelschütze nah.
Grad rang ein Weh! sich aus dem Busen frei,
Da blitzschnell sprang der Fant an mir vorbei,
Kehrt sich und lacht — den Pfeil fühlt‘ ich im Herzen,
Wollüstig bohrend nahten neue Schmerzen,
Gorgo zerfloß, ein Taumel riß mich jäh
In Ihre Näh‘.

So ward ich in erstaunlich kurzer Frist
Ein orthodoxer Liebesegoist.
Das Mädchen Alles, und das All ein Nichts,
Anbeter des lebendigsten Gedichts,
Vernarrt, verrückt, Spielball der dümmsten Launen,
Sklav‘ ihrer Augen, der berückend braunen,
Glückselig schwindelnd, wilder Schmerzen voll,
Hochgradig toll.

* * *

Erinn’rung, Zwittergeist aus Freud‘ und Leid,
Besuchst du liebend meine Einsamkeit?
Was tief in’s Herz schlich, ach wie drängt sich’s vor,
Spielt zart vor Augen, zittert rein im Ohr!
Wenn ich des Morgens Erbsenreiser kürzte,
Des Abends Hoffnung mir die Arbeit würzte,
Nur Sie, nur Sie und ihrer Lieben Huld
Lieh mir Geduld.

Einst gab die Theure mir ein Buch zurück
Von Friderike Brion’s jähem Glück.
„Mein Echo“ — träumt‘ ich? kindlich warf sie’s hin:
Absynth dem selbstgefäll’gen Dichtersinn.
Geliebt zu werden — gold’ne Seligkeiten
Sah ich im Wirbel mir vorübergleiten…
O Friddy, Friddy, welch ein Freudenmeer
Zog breit daher!

Traum, böser Schmeichler, angenehme Last!
An Ihrer Seite wahre Himmelsrast!
Ich lese vor, die Pause füllt ein Blick
In Ihre Augen — grenzenloses Glück!
Der Zärtlichkeit maiknospenfrische Sprossen
Wähnt‘ ich erbebend mir, nur mir erschlossen —
Sie gab Geleit mir, lieblich leuchtend vor,
Durch’s dunkle Thor…

* * *

Zum Teufel auch Sentimentalität!
Mit Feu’r und Schwert! Noch ist es nicht zu spät.
O reiß‘ herab, daß deine Kraft gedeiht,
Den letzten Fetzen von Waschlappigkeit!
Was soll das ewige Sichselbstbelügen?
Du bist ja nur ein Mensch, laß dir’s genügen!
Entsagung? Ach, was ich für Floskeln schrieb!
Verflucht noch mal, ich hab‘ dich furchtbar lieb.

So lieb, so lieb, daß sich mein Hirn verzehrt,
Bleibt ihm versagt, was seine Glut begehrt.
So lieb, so lieb, daß Höllengual und Noth
Mich peitscht — Gott, elend bin ich in den Tod.
So lieb, so lieb — des Geistes Dämme brechen,
Die Fluten brüllen in Millionen Bächen,
Ich sinke unter, ganz dahingerafft
Von Leidenschaft.

Trägt auch ein Anderer nach dir Begehr,
Wie ich dich liebe, liebt dich Keiner mehr.
Mit Leib und Seele schließe ich dich ein,
Mir Gottheit sollst du und Verhängnis ; sein.
O sieh mich an , ich krümme mich in Schmerzen,
Gewaltsam schießt der heiße Strom zum Herzen
Willst du die Liebe, die in: Tod nur bricht,
Verstoß mich nicht!
*
Zu lindern mählich unser lodernd Weh,
Komm , laß uns schiffen auf dem stillen See!
Im Wasserspiegel lebt geheime Kraft,
Die Wellenfee hält dich in sanfter Hast.
Schau tief hinein in ‚ s dunkelgrüne Auge,
Traumlos Vergessen aus der Tiefe sauge!
Das heiße Pech des Schicksals tränst hinab
Ins Wogengrab.
Die Flut »erglänzt , die Gondel schaukelt sacht,
So laß uns gleiten in den Arm der Nacht!
Die glühe Schläfe kühlt ein Hauch gelind,
Auf müden Schwingen schwebt der Abendwind.

1890

Notizblatt

Idyllisches

Im Lied wohnt heilige Vertraulichkeit —
Weh‘ dem, der’s tempelschändend je entweiht!

Jetzt hab‘ ich’s satt. Wohl war ich auch dabei,
Doch aus dem Halse hängt mir das Geschrei.
Nicht daß der Seele frische Glut verbrannt,
Nein, nein, der Zukunft weih‘ ich Herz und Hand.
Indeß genirt sich meiner Seele Fülle
Vor dem genossenschaftlichen Gebrülle,
Der ganze Lärm und Größenwahnskandal
Ist mir egal.

Nur das Bedeutende nahm ich auf’s Korn,
Doch das Gemeine drängte sich nach vorn.
Die Geistesunzucht, die Euch Sippe schafft,
Ward — um Verzeihung — schließlich ekelhaft.
Buhlt, werthe Freunde, mit dem Chaos weiter,
Des Pegasusses lahme Prosareiter,
Ich setze fürder über Stock und Stein
Im Lied allein.

Dem jüngsten Deutschland wünsch‘ ich Gunst und Glück,
Ich zieh‘ auf Außen-Posten mich zurück.
Die Bande macht’s nicht. Hast du Herz und Mark,
Geh‘ du nur vorwärts: Einsam wirst du stark.
Kein And’rer giebt, was dir nicht selbst zu eigen —
Drum zieh‘ ich’s vor, ein Solo mir zu geigen,
Und spiele auf mit Schmeicheln und Gebrumm
Dem Publikum.

Heut‘ preis‘ ich nicht in myst’schem Rausch das Licht,
Weh‘ dem, den draußen jetzt die Sonne sticht!
Die Jalousieen wehren jedem Strahl,
Kein Glutenkuß preßt auf des Schweißes Qual.
In leidlich kühler Tagesdämmerung weile
Auf meiner Bude ich zu meinem Heile
Und warte, bis der flammende Koloß
Sein Auge schloß.

Nein, diese Leberblümchen sind doch flott,
Die sie mir malte; wie vom lieben Gott
Im Wald gemacht; enorm naturwahr , ja,
Das kann sie, Signorina Erika.
Sie malt, ich dichte — alle Kunst soll leben
Und meine Freundin tausendmal daneben
Und hoch die Freiheit und die trotz’ge Kraft
Der Leidenschaft!

„Heillos! Von Blümchen redet dieser Fant,
Von Märzenveilchen, die ein Kind gesandt.
O dieser Schwächling, dieser Tandpoet,
Der auf den ausgetret’nen Pfaden geht!
Ein Liebchen, eine Freundin, scheußlich sauber,
Der ganze alte überwund’ne Zauber,
Ein Dilettant, beim superfeinsten Mist!
Kein Realist.“

„Schrieb Liebeslieder, simpel , höchst naiv,
Don Carlos, wir verachten nun Dich tief.
Uns bohrt der Riescnschmerz der Kreatur
Ins Denkerhirn die schauerliche Spur.
Unheimlich schildern wir den Spuk des Lebens,
Den Katzenjammer idealen Strebens,
Und eine Welt umfaßt der Schöpfergeist,
Der in uns kreist .“

„Modern, modern, modern, modern, modern!
Die Prosaepik ist des Pudels Kern.
Milchsuppe Lyrik, und Erotik gar,
Zola il Zola, was Du sprichst, ist wahr:
Wahnsinn, Delirium, klägliche Verrücktheit
Und andres Nichts ist lyrische Verzücktheit,
Der Romancier allein ist Dichter kraft
Der Wissenschaft .“

Ihr guten Leute, die Ihr Ohr mir leiht,
Daß solch‘ Gewäsch ich kundgethan, verzeiht!
Da streiten sich mit Theorie und Dunst
Die edlen Geister um den Zweck der Kunst.
Schlagworte hagelt’s, dick wie Straußeneier,
Und ist doch immer nur die alte Leier,
Ein wenig neues Essigsurrogat
Zum Ursalat.

Ihr habt die Theoriendiarrhoe
Und kötzt Euch kritisch; adieu, adieu!
Ich trau‘ hinfüro nur dem eig’nen Sinn
Und dichte, was ich lebe, web‘ und bin.
Mein Aug‘ ist offen, Hirnschmalz wird nicht mangeln,
Mit meinem Herzen werd‘ ich Fischlein angeln
Im Strom der Stimmung, grau und silberweiß,
Der Laune Preis.

* * *

Du schreibst von München, lieber Freund Eugen:
„Die Kellnerinnen hier sind voll und schön,
Erquickend fern von jeder Prüderie
Wie von Frivolität, indeß noch nie —
Darin bin ich geblieben ganz beim Alten —
Hab‘ ich von Einer einen Kuß erhalten,
Weil ja zur Einzigen, o Karl , du weißt,
Die Glut mich reißt.“

Weihnachten war’s, das überletzte Mal,
Du holtest früh mich ab zur Gabenwahl.
Wir kauften Lichter, Schäfchen, Silber, Gold
Für die, der deine junge Seele hold.
Und dann das Bäumchen, ein Bouquet zum Schlusse,
Für Sie speziell zum Huldigungsgenusse,
Das Weihnachtsbäumchen selber galt zum Schein
Dem Brüderlein.

Auf meinem Stübchen putzten wir das Ding,
Bis es voll Tand und Honigkuchen hing.
Zur Probe brannten wir die Lichter an —
O du warst selig, Eugen Dichtermann!
Dein Antlitz leuchtete von schönem Feuer,
Dann wieder schien es dir nicht ganz geheuer,
Du bebtest bang — den Tag voll Poesie
Vergess‘ ich nie.

Der Abend kam. Du mochtest nicht allein,
Auch heute sollt‘ ich dein Begleiter sein.
Behutsam, daß der Christbaum Nichts verlor,
Trugst du ihn in des Nachbarhauses Thor.
Wir wollten zünden, doch die Lichter wehte
Der Wind aus, höher wuchsen deine Nöthe,
Fast in die Hose sank dir da — o Schmerz ! —
Dein Dichterherz.

Doch deine Segel schwoll ein letzter Muth:
„Wenn ‚Sie‘ nicht öffnet, geht noch Alles gut.“
Und du verschwandest in der hcil’gen Thür;
Ich wünschte Platon’s Kraft und Weihe dir.
Ich schritt hinauf die breite Kaiserstraße,
Die Kerzen brannten zum Bescheerungsspaße,
Der Reichthum tändelte mit seiner Pracht
In Jesu Nacht.

Dann plötzlich nahtest du mit schnellem Trab:
„Ich klingelte, das Mädchen nahm ihn ab.
Sie muß es merken, daß der Strauß für Sie,
Was Sie wohl sagen wird ? — Ave Marie!“
Nach Hause ging’s — wir drückten uns die Hände,
Daheim zu finden unsrer Lieben Spende,
Mein Schwesterchen ertrug’s vor Neugier kaum:
„Wo blieb der Baum?“ …

* * *

Der Bogen klang. Der Pfeil saß in der Brust.
Geflohen wär‘ ich, hätt‘ ich das gewußt.
Dem Tand der Minne galt mein schärfster Spott,
Exorcisirt hatt‘ ich den kleinen Gott,
Verlacht die Dichter, die dem Knäblein fröhnen
In weichen Weisen und in zarten Tönen,
Weil Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit
Panier der Zeit.

Indeß der Gorgo ich ins Antlitz sah,
Kam hinterrücks der Flügelschütze nah.
Grad rang ein Weh! sich aus dem Busen frei,
Da blitzschnell sprang der Fant an mir vorbei,
Kehrt sich und lacht — den Pfeil fühlt‘ ich im Herzen,
Wollüstig bohrend nahten neue Schmerzen,
Gorgo zerfloß, ein Taumel riß mich jäh
In Ihre Näh‘.

So ward ich in erstaunlich kurzer Frist
Ein orthodoxer Liebesegoist.
Das Mädchen Alles, und das All ein Nichts,
Anbeter des lebendigsten Gedichts,
Vernarrt, verrückt, Spielball der dümmsten Launen,
Sklav‘ ihrer Augen, der berückend braunen,
Glückselig schwindelnd, wilder Schmerzen voll,
Hochgradig toll.

* * *

Erinn’rung, Zwittergeist aus Freud‘ und Leid,
Besuchst du liebend meine Einsamkeit?
Was tief in’s Herz schlich, ach wie drängt sich’s vor,
Spielt zart vor Augen, zittert rein im Ohr!
Wenn ich des Morgens Erbsenreiser kürzte,
Des Abends Hoffnung mir die Arbeit würzte,
Nur Sie, nur Sie und ihrer Lieben Huld
Lieh mir Geduld.

Einst gab die Theure mir ein Buch zurück
Von Friderike Brion’s jähem Glück.
„Mein Echo“ — träumt‘ ich? kindlich warf sie’s hin:
Absynth dem selbstgefäll’gen Dichtersinn.
Geliebt zu werden — gold’ne Seligkeiten
Sah ich im Wirbel mir vorübergleiten…
O Friddy, Friddy, welch ein Freudenmeer
Zog breit daher!

Traum, böser Schmeichler, angenehme Last!
An Ihrer Seite wahre Himmelsrast!
Ich lese vor, die Pause füllt ein Blick
In Ihre Augen — grenzenloses Glück!
Der Zärtlichkeit maiknospenfrische Sprossen
Wähnt‘ ich erbebend mir, nur mir erschlossen —
Sie gab Geleit mir, lieblich leuchtend vor,
Durch’s dunkle Thor…

* * *

Zum Teufel auch Sentimentalität!
Mit Feu’r und Schwert! Noch ist es nicht zu spät.
O reiß herab, daß deine Kraft gedeiht,
Den letzten Fetzen von Waschlappigkeit!
Was soll das ewige Sichselbstbelügen?
Du bist ja nur ein Mensch, laß dir’s genügen!
Entsagung? Ach, was ich für Floskeln schrieb!
Verflucht noch mal, ich hab‘ dich furchtbar lieb.

So lieb, so lieb, daß sich mein Hirn verzehrt,
Bleibt ihm versagt, was seine Glut begehrt.
So lieb, so lieb, daß Höllengual und Noth
Mich peitscht — Gott, elend bin ich in den Tod.
So lieb, so lieb — des Geistes Dämme brechen,
Die Fluten brüllen in Millionen Bächen,
Ich sinke unter, ganz dahingerafft
Von Leidenschaft.

Amselrufe. Neue Strophen, Zürich 1888. S. 57-.Online
Amselrufe, Zürich 1890, S. 53-78. Online