Peter Hille
Gestorben im Mai 1894
Maienglöckchen im Walde klangen:
„Peter Merlin, wohin bist Du gegangen
Lieber Zauberer, deine zarte,
Schmale, strählende Hand im Barte,
In dem Barte der Dichterweisen,
Deine Worte, die tastend leisen,
Die nach innen zurück sich zogen
Ehe den feinsten Sinn sie verbogen,
Deine tiefverstehenden, milden
Augen, in geistdurchfurchten Gefilden,
Menschenaugen wie selten nur,
Wie sie sahn auf der Erdenflur –
Ach, und deine lauschenden Ohren,
Des waldträumenden, reinen Toren,
die an moosdurchgluckender Quelle.
Horchten wie das Eichhörnchen helle,
Dir gehört auch unser Geläut –
Peter Hille, wo weilst Du heut?
Strömend quillt das Grün aus den Bäumen,
Sonne spinnt, mit Gold sie zu säumen –
Kommst Du nicht, im Maiwind zu träumen?
Dessen Seele vom Staube rein,
Lockt dich nimmer der heilige Hain?
Bist doch ein Seher und Germane
Uralter Art, ein Runenahne,
Brausenden Elementen vertraut
Wie der Sehnsuchtsseele der Menschenbraut.
Feinere Schwingung des Weltalls zu fühlen
Bist du begnadet, wirkender spülen
Wellen des Ozeans um deine Stirn.
Ja, wir sahen dich manchesmal
Waldesdämmer im Abendstrahl
Mit lärmscheuem Schritt durchstreifen
Und nach tanzenden Sonnen greifen,
Die Du mit rascher Zauberhand
In dein witterndes Wort gebannt.
Ließest triefen auf weiße Fetzen
Pupurgoldenes Lichtergötzen,
Schreiber im Scharlachmantel du –
Und das Einhorn staunte dir zu.
O wir Waldeskinder wissen:
War dein Havelock auch verschliessen,
Für Landstreicher dein Filz zu schlecht,
Warst ein König nach göttlichem Recht.
Ein König unter den Weltverkannten
Mit märchenfunkelnden Krondiamanten;
Wie wenn Liebesaugen sich lächelnd feuchten,
Sahn wir die seltenen Juwelen leuchten
Von Deinem Kronreif weit und breit –
Zum Zeichen deiner Gottseligkeit.“
Also die Maienglöckchen klangen,
Trugen nach Peter Merlin Verlangen
Traurig sang dann ihr silberner Chor:
„Tot ist Peter, der reine Tor.
Hat gelebt nur fünfzig der Jahre,
Heute hoben sie ihn auf die Bahre,
Den in Krankheit, Blut und Wunden
Nachtverirrt am Weg sie gefunden.
Aber die Krone auf seinem Haupt,
Hat nicht Hunger, nicht Tod ihm geraubt.
War wohl ein arm, einfältig Mann,
Jedes Wichtlein sein spotten kann,
Das mit güldenen Ketten geschmückt
Hinstolziert und murmelt: Verrückt!
Wichtlein! Peter Humanus Hille
Stand in Stürmen des Schicksals stille,
Stolz-demütig, in Ungemach groß,
Ruht‘ er kindlich im ewigen Schoß,
Ging er glücklich durch Fährlichkeiten,
Ließ den Hagel vom Herzschild gleiten,
Fern seinem hohen Sinne schier
Blieb all Neid und niedere Gier.
Und so ist er mit adligem Wesen
Pilgersmann und Poet hier gewesen,
Der beladen mit Schätzen kam,
Schenkte, kopfnickend Zehrgeld nahm,
Mit Foliowertpapier vom Parnasse
Durch das Leben fuhr vierter Klasse,
Vor Hunger und Wonne sich mal berauschte,
Sich sattschwelgte, aber mit Satten nicht tauschte
Und auf dem römischen Trümmerfeld
Weltliebend thronte, ein traumwacher Held.
Mocht er in rohe Kampfwelt nicht passen,
Konnt er den Born in Bücher nicht fassen,
der reich aus ihm rauschte – schicksal-gelassen
Wollt er dem Siegtag entgegengehen,
Da im Sonnenfestglanz Girlanden wehn…
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Als er nun lag, dem Verhähngnis zu Falle –
Hört es, ihr Blumen des Waldes, alle! –
Und eine Mitleidige wollte trösten
Den vom Sterbepfahl halb schon Gelösten,
Wehrt’er – es war sein letztes Gestehn -:
„Einmal mußt es auch schlecht mir gehn“,
Neigte sein Haupt in leisem Frieden
Und war verschieden.
Weinet, ihr Schwestern des Waldes, weinet,
Sonne auf unsere Tränen scheinet,
Perlen wir tauen und süßesten Duft
Auf Peter Merlins Poetengruft“.
Gesammelte Werke. Vierter Band: Buch der Kunst, München 1921, S. 78-82.