1888
Wolkenbild
In rother Glut welch düst’rer Wolkenstreif?
Gewaltig Weib mit güld’nem Kronenreis.
Will dieser mißgestalte Leib gebären?
Mir däucht, er ringt in Schmerzen, hoffnungsschweren.
Schwül glüht die Luft, die Erde leidet mit —
Komm, Sturmwind, komm, führ’ aus den Kaiserschnitt!
Hersaust der Arzt. Mit kühnem Griffe schneidet
Er in den Wolkenleib, der furchtbar leidet.
Da regnet’s. Finsternisse zieh’n zu Hauf,
Die Goldgekrönte löst sich weinend auf.
Der Frucht Erlösung läßt den Kelch verbluten —
Vom Himmel stürzen segensreiche Fluten.
* * *
So aus der Zeiten schwanger’m Mutterschooß
Kühn bricht die Noth das Heil der Zukunft los.
1890
Wolkenbild
In rother Glut welch’ düst’rer Wolkenstreif?
Gewaltig Weib mit güld’nem Kronenreis.
Will dieser mißgestalte Leib gebären?
Mir däucht, er ringt in Schmerzen, hoffnungsschweren.
Schwül glüht die Luft, die Erde leidet mit —
Komm, Sturmwind, komm, führ’ aus den Kaiserschnitt!
Hersaust der Arzt. Mit kühnem Griffe schneidet
Er in den Wolkenleib, der furchtbar leidet.
Da regnet’s. Finsternisse zieh’n zu Hauf,
Die Goldgekrönte löst sich weinend auf.
Der Frucht Erlösung läßt den Kelch verbluten —
Vom Himmel stürzen segensreiche Fluten.
* * *
So aus der Zeiten schwanger’m Mutterschooß
Kühn bricht die Noth das Heil der Zukunft los.
Amselrufe. Neue Strophen, Zürich 1888. S. 116. Online
Amselrufe, Zürich 1890, S. 108. Online